Martina Proprenter MA
frei selbst ständig

Interview: Autist Matthias Huber

(erschienen am 27.09.2015 in Der Sonntag)


Spontan geht nicht

Matthias Huber ist Psychologe – und AUTIST

Als „RainMan“ begeisterte Dustin Hoffmann in den 80ern, doch in Filmen wird oft nur ein eindimensionales Bild von Autisten kommuniziert. Wie viele Menschen mit dieser Entwicklungsstörung in Deutschland leben, ist unklar. Der Berner Diplom-Psychologe Matthias Huber ist selbst Autist und versucht, zwischen den Welten zu vermitteln.


 

Herr Huber, Autisten sagt man nach, dass es ihnen schwer fällt, mit Menschen zu interagieren. Ist es für Sie einfacher, weil Sie die Menschen in Ihrem Beruf eher analysieren?

 

Das kann ich nicht unbedingt sagen. Ich habe Kinder und Jugendliche mit der Verdachtsdiagnose Autismus, da kann ich gezielt schauen, auf was ich achten muss. Immer dann, wenn die Themata klar sind, ich genau weiß, um welches Thema es geht, ich genügend Informationen darüber habe, fällt es mir durchaus einfacher, als in offenen Gesprächen, wo das Thema unklarer ist oder der Gesprächsverlauf sich in irgendeine Variante entwickeln kann. Das Asperger-Syndrom gibt es in der Diagnostik erst seit den 80er Jahren. Davor wirkten viele von uns vielleicht ein bisschen komisch, seltsame Käuze, Einzelgänger.

 

Wann haben Sie gemerkt, dass Sieanders sind, als andere Kinder?

 

Im Kindergarten, als ich circa fünf war. Ichwollte einfach nicht spielen wie die anderen Kinder, das hat mich gar nicht interessiert. Ich hab mich dann mehr mit mir beschäftigt, gezeichnet, aber nur mit Bleistift. Wenn die Kindergärtnerin fand, ich dürfe nicht immer das Gleiche tun, hab ich mich an den nächsten Platz gesetzt und mit Würfeln verschiedene Muster gelegt und diese angestarrt. Da hab ich gemerkt, dass die Kinder Interessen haben, die nicht den meinigen entsprechen.

 


Wie ging es in der Schule weiter?

 

Da fiel mir auch auf, dass ich ein wenig anders bin. Ich hatte tagtäglich mit Reizüberflutung zu kämpfen, also mit Menschen und Stimmen- und Bewegungsgewirr, mit dem ich klarkommen musste.

 

An der Universität hat die Reizüberflutung sicher noch weiter zugenommen, wie sind Sie damit umgegangen?

 

Ich hatte erhebliche Probleme mit den administrativen Tätigkeiten. Wenn es etwa hieß: Du musst dich am Nachmittag im Sekretariat melden. Da habe ich zuerst im Kopf minutiös geplant, welchen Weg ich nehme, wie ich über die Gänge laufe, den Lift nach oben nehme, ander Tür klopfe, „Guten Tag“ sage, was ich dann noch sagen muss. Als ich hingegangen bin, hing da ein Schild „Ich bin im Moment nicht da.“ Ich kann in so einer Situation nicht flexibel reagieren, ich hab mich gefragt: Wann kommt sie? Heute? Morgen? Da habe ich häufig Situationen abgebrochen.

 

Da Sie nun Diplom-Psychologe sind, haben Sie die Prüfungen selbst aber gemeistert.

 

Bei Prüfungen habe ich einen Nachteilsausgleich bekommen. In einem Raum mit 100 Studierenden eine Prüfung zu schreiben, ging nicht. Ich nehme alle Geräusche und Nebengeräusche wahr, Bewegungen, Kopfbewegungen, auch meinen eigenen Hals, der am Kragen kratzt. Ich durfte daher in einen separaten Raum mit Aufsicht. Ich bin auch sehr langsam beim Schreiben. Das heißt, während ich mit dem Schreiben noch hier hinten bin, sind meine Gedanken schon weit vorne, das Schreiben holt das Denken nie ein. Dann steht auf dem Blatt nachher ein Chaos, weil ich gar nicht so linear denken kann. Bei der Abschlussprüfung habe ich irgendwann eine Antwort gegeben, aber nicht zu dem Zeitpunkt, als mich der Professor gefragt hat. Ich bin sehr dankbar über die Hilfen. Autisten wissen häufig nicht, wie man etwas ausdrücken muss, um von der Umwelt verstanden zu werden.

 

Wie ging Ihr Elternhausmit der Diagnose um?

 

Ich habe viel Unterstützung von meinen Eltern bekommen. Meine Mutter hat intuitiv gehandelt, die Diagnose Asperger-Syndrom gab es damals ja noch gar nicht. Wenn sie überlegt hat, hat sie zu mir gesagt, „Ich überlege jetzt“, haben wir Fernsehen geschaut, hat sie mir erklärt, was sozial-emotional auf dem Bildschirm passiert, weil Autisten nonverbale Signale und Gefühle in den Gesichtern von Menschen oft nicht deuten können. Für mich ist es eine Erleichterung, dass ich mittlerweile weiß, wie Menschen ohne Asperger ticken.


 

Sie halten regelmäßig Vorträge, bei Veranstaltungen oder vor Studierenden der Heilpädagogischen Schule in Zürich. Fällt Ihnen das Sprechen in der Öffentlichkeit mittlerweile

leichter?

 

Als Kind und Jugendlicher habe ich praktisch immer nur ja, nein, weiß nicht oder egal gesagt. Ich konnte nicht sprechen, also die Worte aus meinem Mund rauslassen. Ich wusste ja nicht, was mit meinen Sätzen im Raum passiert. Daher hatte ich fertige Texte in meinem Kopf, die ich erst rausgelassen habe, wenn ich sie selbst im Kopf aufgebaut hatte. Da ich nicht so spontan sprechen kann, hab ich meistens erst dann etwas gesagt, wenn das Thema schon gar nichtmehr Sache war. Mittlerweile fällt es mit leichter, ich habe die Texte zu Themen im Kopf, dazu eine Auswahl an Beispielen. Nun geht es ja immer um mein Fachgebiet, da habe ich genug Wissen und den Eindruck, es lohnt sich auch für diejenigen, die zuhören.

 

Sind Nachfragen erlaubt oder bringen die Sie eher aus dem Konzept?

 

Als ich vor zehn Jahren in der Uniklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie im ambulanten Spezialbereich Autismus in Bern angefangen habe, habe ich so viele Fragen von Eltern und Fachleuten bekommen, dass ich mir einen Speicher von Fragen aufgebaut habe. Wenn jetzt eine neue Frage kommt, kann ich die mit meinem Speicher vergleichen. Wenn aber eine Frage kommt, die sich nicht um mein Thema dreht, kann es sein, dass ich enorme Schwierigkeiten habe, spontan zu antworten.

 

                                 

 DAS GESPRÄCH FÜHRTE MARTINA PROPRENTER

 
 
 
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